Analyse des Integrationsprozesses Flüchtlingen von Vertriebenen als Neubauern in Sachsen aus subjektorientierter Perspektive; Untersuchung von Brüchen, Anpassungsleistungen, Wechselwirkungen zwischen Alt- und Neubürgern in zwei ausgewählten Regionen Sachsen (Muldentalkreis, LK Bautzen); Aufarbeitung der Erfahrungswelten von Vertriebenen im ländlichen Raum.
Eine Million Menschen drängte infolge der Bevölkerungsverschiebungen durch den Zweiten Weltkrieg aus den deutschen und deutsch besiedelten Territorien im östlichen Europa nach Sachsen. Die Neuankommenden übten einen großen Einfluss auf die bestehenden Milieus wie auch auf die Neustrukturierung der Gesellschaft aus; sie setzten Impulse durch ihre Erfahrungswelten und eigenen soziokulturellen Wertordnungen. Der ländliche Raum hatte hierbei eine Schlüsselposition inne: Zum einen entfalteten die Dörfer wegen der besseren Versorgungslage und Arbeitsmöglichkeiten eine Sogwirkung, zum anderen nahmen hier folgenreiche Umstrukturierungsprozesse ihren Ausgang. Infolge der Bodenreform entstanden allein in Sachsen über 18.000 Neubauernstellen, davon wurden 7.000 (40 Prozent) an so genannte Umsiedler vergeben. Das Forschungsprojekt „Fremde – Heimat – Sachsen“ nimmt erstmals die Schnittmenge Vertriebene und Neubauern in den Blick und analysiert somit eine Gesellschaftsgruppe, in der sich der soziale Wandel manifestierte. Dieser Ansatz bietet die Möglichkeit, Anpassungsleistungen, Identitätskonstruktionen sowie Interaktionen zwischen Neu- und Altbürgern am konkreten Beispiel und aus der Subjektperspektive zu untersuchen. Im Rahmen des Projekts wurde eine umfangreiche Interviewstudie durchgeführt die vergleichend angelegt ist und den ehemaligen Muldentalkreis (östlich von Leipzig) sowie den Landkreis Bautzen umfasst. Parallel dazu wurden Archivbestände erhoben sowie relevante zeitgenössische Publikationsorgane ausgewertet. Das Forschungsprojekt wird seit Oktober 2010 am ISGV bearbeitet, bis Dezember 2012 mit Förderung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, das Sächsische Staatsministerium des Innern sowie die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung. Ein Kooperationsabkommen besteht darüber hinaus mit dem Herbert-Wehner-Bildungswerk e.V. Ein Ergebnis dieses Projektes bildet die Veröffentlichung „Fremde – Heimat – Sachsen. Neubauernfamilien in der Nachkriegszeit“. Weiterhin wird seit Oktober 2012 die Wanderausstellung „Fremdes Land. Neubauernfamilien in Sachsen“ an verschiedenen Orten gezeigt: Die Präsentation gibt einen Überblick über die Wandlungen in den sächsischen Dörfern der Nachkriegszeit und ermöglicht Einblicke in individuelle Erinnerungswelten und diverse Zeitzeugnisse. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Fremde – Heimat – Sachsen“ werden darüber hinaus für die außerschulische Vermittlung im Museum aufbereitet. Das Praxisprojekt „Fremdes Land? Vergessene Geschichte(n) der Nachkriegszeit“ macht die Kindheit und Jugend in den Dörfern der Nachkriegszeit für Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 bis 11 (Gymnasium/Realschule) erfahrbar und schlägt den Bogen zu aktuellen Fremdheitsdebatten. Auf dem Quellenkorpus des Projektes „Fremde – Heimat – Sachsen“ baut ein neues Forschungsvorhaben auf: Im Mittelpunkt stehen die (erzwungenen) Nachbarschaften in der Grenzregion des Freistaates Sachsen, der Tschechischen Republik und der Republik Polen. Das Projekt wird in ausgewählten Regionen (Sachsen und Niederschlesien) die wechselseitige Verschränkung von „Erinnerungen“ und „Raum“, ihre jeweiligen Begrenzungen und Möglichkeitsfelder im transnationalen Vergleich untersuchen. Die Ausdrucksformen – v.a. Narrationen und materielle Artefakte – sollen in akteurszentrierter Perspektive und in ihrer Wechselwirkung mit den öffentlichen, nationalstaatlichen/politischen Diskursen und in Bezug auf ihre Funktion als identitätsstiftende Praxis analysiert werden.