Nach den Zahlen der Vereinten Nationen ist seit 2014 etwa jeder vierte Bewohner des Libanon ein Flüchtling: auf ca. 4 Mio. im Land lebende Libanesen kommen etwa 280.000 Palästinenser, die bereits seit mehreren Jahrzehnten im Libanon leben, und etwa 1,2 Mio. registrierte syrische Flüchtlinge. Der Frage, wie die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik im Sinne der syrischen und palästinensischen Flüchtlingsgemeinschaften in den libanesischen Lagern aktiv werden kann, widmete sich ein Forschungsprojekt, bei dem das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und das BICC kooperierten. Die Studie basiert auf einer mehrwöchigen Feldforschung im Libanon, während der Experteninterviews mit Vertretern von Mittlerorganisationen, lokalen NGOs und Stiftungen, UN-Einrichtungen und Botschaftsmitarbeitern, Künstlern, Kulturschaffenden und Journalisten geführt wurden. Zudem umfasste dieses Forschungsprojekt Workshops in Beirut und ein Expertentreffen, das unter dem Titel „Culture and Foreign Policy in Refugee Camps“ am 30. Juni am BICC stattfand.
Zentrale Aussage des Projektes ist, dass kultureller Ausdruck ein menschliches Grundbedürfnis und -recht ist, das auch Menschen in Flüchtlingslagern nicht vorenthalten werden darf. Vor dem Hintergrund von Gewalterfahrung und Not, einem häufig schwierigen Verhältnis zur Aufnahmegesellschaft im Libanon und einem Mangel an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Perspektiven, stellen kulturelle Aktivitäten weit mehr als bloße Beschäftigung dar. Sie sind ein wichtiges Mittel, Bedürfnisse und Kritik zu artikulieren, wo andere Möglichkeiten zu Entwicklung, Teilnahme oder Ausdruck weitgehend verwehrt sind. Für die syrische wie die palästinensische Flüchtlingsgemeinschaft im Libanon ist es von enormer Bedeutung, die eigene Konfliktperspektive zu kommunizieren (eigene Konfliktnarrative), Identitäten (neu) zu definieren aber auch kulturelle Praktiken zu bewahren und zu vermitteln. Kunst und Kultur eröffnet in den Flüchtlingslagern nicht nur einen wichtigen Raum für Dialog und Begegnung, sondern könnte darüber hin aus auch für einige Künstler Erwerbsperspektiven bieten. Schließlich stellen kulturelle Aktivitäten auch Erholungsräume dar und können enorm wichtig sein, um erfahrenes Leid zu verarbeiten. All diese Aspekte gilt es zu bedenken, wenn sich auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auch für Flüchtlinge öffnen will.