Das Projekt untersucht ein Migrationsphänomen, das sich als Flucht vor politisch motivierter Verfolgung fassen lässt: Im Mittelpunkt stehen US-amerikanische Soldat_innen, die sich einem (potenziellen) Militäreinsatz durch Flucht nach Kanada zu entziehen suchten. Vor dem Hintergrund der von ihnen als moralisch falsch eingeordneten Kriege in Vietnam bzw. in Afghanistan und im Irak kamen sie ihrer Wehrpflicht bzw. der freiwillig eingegangenen Verpflichtung zum Dienst an der Waffe nicht nach und setzten sich somit der (militärischen) Strafverfolgung aus.
Ziel der qualitativen Studie ist es, nicht nur die biographische Relevanz dieser Migrationsentscheidung im Allgemeinen zu beleuchten, sondern auch die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Teilhabe im Aufnahmeland im Besonderen offen zu legen. Grundlage der Analyse bilden Interviews mit Verweigerern der beiden genannten ‚Kohorten‛ über ihre Migrations- und Integrationserfahrungen. Dabei fungieren diese aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen jeweils als Kontrastfolien für einander.
Vietnamkriegsverweigerer schilderten den Verlauf ihrer Migration im Rückblick als nahezu reibungslos; sie hatten den Berichten zufolge keine Schwierigkeiten, in Kanada rasch Fuß zu fassen und sich auf vielfältige Art und Weise – auch im politischen Sinne – in die Gesellschaft einzubringen. Verweigerer der Kriege in Afghanistan und im Irak hingegen hatten bereits über mehrere Jahre erfolglos versucht, von kanadischen Institutionen als Flüchtlinge anerkannt zu werden; ihnen machten gemäß den Erzählungen das Leben auf Abruf, d.h. die Angst vor einer Abschiebung, und die mit der Statuslosigkeit einhergehende Marginalisierung – bzw., um mit van Gennep und Turner zu sprechen, ihre Liminalität – zu schaffen.
Den Ausgangspunkt der Studie bildete das bürgerschaftliche Engagement, das sich zugunsten eines dauerhaften Bleiberechts für die Afghanistan-/Irakkriegsdeserteure entwickelt hat und von beiden Verweigerer-Kohorten und kanadischen Aktivisten gleichermaßen getragen wird. Von Interesse ist nicht nur die Motivation der Gesprächsteilnehmer_innen für ihr Engagement, sondern auch inwiefern der rechtliche Status die Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Teilhabe – in sozialer ebenso wie in politischer Hinsicht – prägt. Die Analyseergebnisse werden vor dem Hintergrund von Agambens Interpretation der Figur des homo sacer und Bhabhas Konzept eines third space erörtert.