Zufluchtstädte


Projektart Promotion
Finanzierung
Themen
  • Aufnahme und Integration
Disziplinen
  • Philosophie- und Religionswissenschaften
  • Rechtswissenschaften
Laufzeit 12/2016 ‒ 12/2019
Geographischer Fokus
  • Deutschland
Institutionen
Beteiligte Personen
  • Helene Heuser
    • Leitung
Kurzbeschreibung

Was sind Zufluchtstädte,was waren sie und was können sie heute sein? Jaques Derridas Pamphlet „Weltbürger dieser Erde, noch eine Anstrengung!“ ist eine der wenigen Publikationen, die sich mit dieser innovativen Idee der Flüchtlingsaufnahme auf der Ebene jenseits des Nationalstaats auseinandersetzen. Er schrieb den Text 1996 als Rede an den Ersten Kongress der Zufluchtstädte, welcher durch das Internationale Parlament der Schriftsteller (IPW) beim Europarat initiiert wurde. In meiner Dissertation möchte ich untersuchen, auf welchen philosophischen, rechtlichen und politischen Ideen das dort initiierte International Cities of Refuge Network (ICORN) beruht und inwieweit es ausbaufähig ist. Im Zentrum soll dabei die Frage stehen, inwiefern das Konzept eines Netzwerks von Zufluchtstädten geeignete Antworten auf aktuelle praktische und theoretische Probleme der Aufnahme von Flüchtlingen aus Herkunfts- und Transitstaaten bieten kann. Die Stadt erlebt als Akteur auf transnationalem Parkett eine „Renaissance“, es wird bereits von einer „Städterevolution“ gesprochen. Dies gilt auch für Fragen der Aufnahme von Flüchtlingen: Führende PolitikerInnen wie Gesine Schwan und Sigmar Gabriel, die portugiesische EU-Parlamentarierin Maria João Rodrigues, der griechische Parlamentarier Costas Douzinas und die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Cadua forderten in diesem Jahr eine direkte Aufnahme von Flüchtlingen durch die Kommunen. Der Osnabrücker Stadtrat hat bereits einen Antrag beschlossen, der fünfzig Flüchtlinge aus Griechenland nach Osnabrück bringen soll.

Solche städtischen Praxen möchte ich philosophisch sowie rechtsdogmatisch einordnen. Der Begriff Zufluchtstädte kann dafür ein geeignetes Konzept liefern. Er beschreibt nach Derrida eine städtische Tradition der Gastfreundschaft und der Aufnahme von Flüchtenden, die über das Mittelalter und die Bibel bis in das antike Griechenland zurückreicht und in den 1990ern mit dem Netzwerk ICORN eine Neuauflage erfuhr. Es soll dabei nicht darum gehen, vorwestfälische Verhältnisse im Sinne eines Rückschritts hinter nationalstaatliche Ordnungen heraufzubeschwören, sondern darum, „ein anderes Konzept, ein anderes Recht, eine andere Politik der Stadt“ zu ermitteln.

Nach Derrida kann sich in der Stadt eine Ethik der Gastfreundschaft entfalten, die liberalisierend auf das Migrationsrecht einwirkt. Städte sind diejenigen Orte, in denen die Zuwandernden ankommen. Hier werden „Kulturen aus der ganzen Welt de- und reterriotalisiert“. Stadtmenschen haben sich an eine Fluktuation von Kommenden und Gehenden gewöhnt. Sie sind auf die Partizipation der Anwesenden unabhängig von deren Staatsbürgerschaft angewiesen. Nationalismen spielen auf lokaler Ebene eine geringere Rolle. Die Anonymität der Stadt trägt zu einer gewissen Offenheit bei und gibt Traumatisierten Raum, sich langsam neu zu orientieren. Gleichzeitig ist der Grad der Anonymität auf der lokalen im Vergleich zur zentralstaatlichen Ebene niedriger. Lokale Diskurse sind daher weniger verführt, fliehende Menschen bloß als Masse zu sehen. Kann ein Netzwerk von Zufluchtstädten zu einer (weiteren) Öffnung gegenüber Anklopfenden führen? Empirisch legen soziale Bewegungen wie jene in Berlin oder Hamburg und die eingangs genannten Initiativen und historischen Beispiele nahe, dass auf kommunaler Ebene erweiterte Perspektiven für die Aufnahme neuer Flüchtlinge bestehen. Auch die demographische Entwicklung in den meisten Kommunen spricht für eine migrationspolitische Öffnung. Demgegenüber lassen neuere Erklärungen des Deutschen Städtetages eher eine restriktive Migrationspolitik der Städte befürchten. Die Untersuchung kann damit auch ergeben, dass Städte nur einen beschränkten Raum für die Kultivierung von Gastfreundschaft bieten.

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