Die Ankunft von über einer Millionen Geflüchteten in Deutschland im Jahr 2015 löste kontroverse gesellschaftliche Debatten aus. Die Reaktionen der Öffentlichkeit schwankten zwischen Gastfreundlichkeit und Anfeindungen gegenüber den Neuankömmlingen. Durch die Errichtung und den Ausbau von tausenden Flüchtlingsunterkünften in ganz Deutschland fand die Wahrnehmungen der Flüchtlingssituation und die damit verbundenen Unsicherheiten lokale Kristallisationspunkte. Überfielen Flüchtlinge das Land? Bereichern sie es kulturell? Konnten sie europäische soziale Werte respektieren? Zeigt sich eine „neue Humanität“ der Deutschen im Umgang mit den Geflüchteten? Gelangten Terroristen ins Land? Oder Arbeitskräfte?
Diese vergleichende qualitative Studie von sechs Standorten in Baden-Württemberg beleuchtet lokale Dynamiken zwischen Willkommenskultur und Bedrohungswahrnehmung. Dabei interessieren wir uns insbesondere für folgende Fragen: Wie haben sich unterschiedliche Beziehungen zwischen neu angekommenen Flüchtlingen und der ansässigen Bevölkerung seit 2015 entwickelt? Welche Rolle spielen dabei die Handlungen und Einstellungen der staatlichen Verwaltungen? Welche Konfliktursachen und Unsicherheitswahrnehmungen zeigten sich bei unterschiedlichen Akteursgruppen? Beeinflussen die Größe des Wohnorts und seine Migrationsgeschichte die Aufnahmebereitschaft von Neuankömmlingen?
Flüchtlingsunterkünfte sollen in diesem Kontext nicht als räumliche Manifestation eines Ausnahmezustandes verstanden werden, sondern als Grenzzonen des Politischen, an denen sich das Verhältnis zwischen Inklusion und Exklusion, Etablierten und Außenseitern praktisch bestimmen muss. Mithilfe ethnographischer Beobachtungen und Interviews mit Geflüchteten, Ortsansässigen und lokalen und regionalen Politikerinnen untersuchen wir sowohl wie das Verhältnis zwischen In- und Exklusion von Geflüchteten lokal ausgehandelt wird als auch wie sich Bedrohungsdiskurse und Willkommenskultur in der alltäglichen Lebensrealität der lokalen Bevölkerungen widerspiegeln.