Senegal ist vor allem als Musterdemokratie Westafrikas berühmt. Die Tatsache, dass seit dreißig Jahren im Süden des Landes ein Konflikt stattfindet ist dagegen weitgehend unbekannt. Dabei ist der Konflikt um die Unabhängigkeit der Casamance inzwischen zum am längsten anhaltenden bewaffneten Konflikt Afrikas aufgestiegen. Die MFDC (Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance) auf der einen Seite kämpft einen Guerillakrieg niederer Intensität gegen die senegalesische Armee auf der anderen Seite. Die MFDC fordert aus historischen, sozio-kulturellen, wirtschaftlichen, und politischen Gründen eine Sezession der Casamance. Der senegalesische Zentralstaat wiederum lehnt jede Art von Unabhängigkeitsanspruch ab; er pocht auf die nationale Integrität und wirft den Rebellen vor die ethnische Vielfalt Senegals zu bedrohen. Die Zivilbevölkerung findet sich dabei zwischen Minenfeldern und Schützengräben in einem Dauerzustand von Unsicherheit wieder. Der Konflikt strahlt außerdem in die Nachbarländer Gambia und Guinea-Bissau aus und wiederkehrende Flüchtlingsströme ergießen sich über die Grenzen. Alle Bemühungen, den Konflikt beizulegen, scheiterten bisher. Die Gewalt brandet ganz im Gegenteil regelmäßig wieder auf. Zudem zersplittert sich die MFDC zunehmend. Diese Situation wird lokal als ‘ni guerre ni paix’ (weder Krieg noch Frieden) bezeichnet. Die Arbeit versucht die Frage nach den Ursachen und Bedingungen sowohl der Dauer des Konflikts als auch des Scheitern aller Friedensbemühungen zu klären. Die Analyse zeigt, dass eine Vielzahl von sich wechselseitig verstärkenden Faktoren zu einem System von Gewalt und Friedensvermittlung geführt hat, in dem sich die Systemelemente gegenseitig bedingen und stabilisieren. Dieser stabile Gewaltmarkt hat sich verselbstständigt und kolonialisiert die unmittelbaren Handlungszusammenhänge der Akteure. Die vorliegende Arbeit analysiert die Frage von Konflikt und Integration in dieser Situation. Wie und warum etabliert sich ein solcher Zustand in der Schwebe zwischen Krieg und Frieden? Welche lokalen Mechanismen der Konfliktbewältigung lassen sich trotz zahlreicher gescheiterter Bemühungen beobachten? Die Analyse zeichnet das Bild von Akteuren - Soldaten, Rebellen, Zivilisten, ebenso wie Politiker, und Mediatoren – die in einem Teufelskreis gefangenen sind. Um diesen vielschichtigen Teufelskreis zu entflechten werden die daran beteiligten Gruppen, die wiederauftretenden Feindseligkeiten, deren Ursachen und Erscheinungsformen analysiert, sowie die gescheiterten Friedensvermittlungen untersucht. Es ist festzustellen, dass es den Akteuren trotz des Scheiterns offizieller Friedensverhandlungen gelingt, zu einem gewissen Ausmaß einen inoffiziellen Verhandlungsspielraum zu erhalten. Denn die Tatsache, dass die Gewalt auf einem niedrigen Niveau verharrt, wird auf existierende aber unauffällige Mediationsmechanismen zurückgeführt. Durch diese Mediationsmechanismen gelingt es der Bevölkerung die Wahrscheinlichkeit Opfer von Gewalt zu werden zu mindern. Aufgrund der azephalen Struktur dieser traditionellen Mediationsmechanismen ist aber deren Reichweite und Verbindlichkeit weitgehend beschränkt. Den zivilen Akteuren ist es zwar möglich einen gewissen Gleichgewichtszustand zwischen Krieg und Frieden zu erhalten, nicht aber den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen. Sowohl das Beharren auf Gewalt, wie auch wiederholte Vermittlungsbemühungen sind Ausdruck rationaler Verhaltensweisen, die den Akteuren zur Erreichung ihrer Ziele dienen. Dabei sind beide Verhaltensweisen nicht widersprüchlich, vielmehr fördern sie sich gegenseitig. Gewaltakteure und Friedensvermittler sichern sich gegenseitig ihr wirtschaftliches Auskommen. Ein Gewaltmarkt ‘market of violence’ bedingt und ergänzt einen Friedensmarkt ‘market of peace’, der lokal als ‘marché de la paix’ bezeichnet wird - und umgekehrt. Die Untersuchung zeigt, wie nicht nur Gewalt an sich, sondern ebenso das Androhen derselben, oder auch eine unterlassene gewaltsame Handlung, als Mittel zur Ressourcengewinnung genutzt werden kann. Dabei zeigt die Analyse, dass sich der Mehrwert eines solchen Gewaltmarktes vor allem in der Beziehung bestimmter Gruppen zum Nationalstaat bestimmt. Um diese komplexe Situation zu verstehen nimmt die Analyse Gruppenidentifikationsprozesse, Gruppenabgrenzungslinien, Konfigurationen des Konfliktes, und Mechanismen der Vermittlung (Mediation) ins Visier. In den Jahren 2007-2009 wurde die Forschung in insgesamt ca. 18 Monaten im Senegal, Gambia, und Guinea Bissau durchgeführt. In einer multilokalen und transnationalen Vorgehensweise wurden vor allem die sogenannte ‘Basse Casamance’, die heutige ‘Region Ziguinchor’ und angrenzende Regionen in den Nachbarländern untersucht. Die Forschungsfragen, anhand derer die angeführte Problematik erörtert werden, sind dabei folgende: 1) Welche Mechanismen der Exklusion und Inklusion lassen sich bei sozialen Gruppen während des Konfliktes beobachten? 2) Welche Mechanismen der Vermittlung (Mediation) und der Konfliktbewältigung (Management) gibt es? Diese Fragen sind eingebettet in die weitergehenden Bemühungen das Verhältnis zwischen Integration und Konflikt zu verstehen. Die Forschung zielt im Besonderen darauf ab einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über Agency und Struktur zu leisten. Diese Debatte dreht sich um die Frage inwieweit die soziale Wirklichkeit ein Produkt freier Entscheidungen sozialer Akteure ist oder inwieweit ein Produkt selbstreferentieller interdependenter Systeme. Dabei wird die Behauptung in Frage gestellt, dass die Systemperspektive und die Akteurperspektive sich gegenseitig ausschließen. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass Luhmanns Idee autopoetischer Systeme und Habermas Theorie des kommunikativen Handelns verbunden werden können. Eine solche Kombination beider Theorien bietet den theoretischen Rahmen für die empirische Untersuchung der Frage, inwieweit dreißig Jahre Krieg in der Casamance das Ergebnis – von Systemzwängen, oder Akteurentscheidungen sind - beziehungsweise in welchem Verhältnis beide Faktoren zueinander stehen. Die empirische Untersuchung beider Faktoren lässt zudem Rückschlüsse darüber zu, ob sich die oftmals unversöhnlich gegenüberstehenden Theorien nicht doch gegenseitig ergänzen - und ob nicht ein kombiniertes Modell der sozialen Wirklichkeit zum besseren Verständnis der Dialektik zwischen Struktur und Akteur vonnöten ist.
Conflict and integration in the Basse Casamance, Senegal
Projektart | Promotion |
Finanzierung |
|
Themen |
|
Disziplinen |
|
Projektwebseite | www.eth.mpg.de |
Laufzeit | 01/2009 ‒ 12/2013 |
Geographischer Fokus |
|
Institutionen | |
Beteiligte Personen |
|
Kurzbeschreibung |
|